Die Größenangabe einer Immobilie fungiert im immobilienwirtschaftlichen Kontext in der Praxis für eine Vielzahl von Verträgen (z.B. Miet- und Kaufvertrag von Immobilien) und Abrechnungen (z.B. Betriebskostenabrechnung) bzw. Berechnungen (z.B. Mieterhöhung) als Ausgangsgröße oder Maßstab. Sofern es zu Differenzen zwischen erklärter oder vertraglich vereinbarter und tatsächlich vorhandener Fläche kommt, führt dies unter Umständen zu weitreichenden (monetären) Folgen für die Vertragspartner (insb. Schadensersatz).
Ein in diesem Zusammenhang interessantes Urteil hat das Oberlandesgericht Stuttgart am 20. Dezember 2018 gefällt (Az.: 14 U 44/18). Das Urteil im Volltext findet sich unter folgender URL: https://preview.tinyurl.com/yb32gwma (letzter Zugriff: 12.06.2020). Streitpunkt war die in einem notariellen Kaufvertrag angegebene Fläche, die deutlich unter der tatsächlich vorhandenen Fläche lag. Aus diesem Grund begehrte der Kläger (Käufer) Schadensersatz vom Verkäufer. Das Gericht entschied zugunsten des Klägers.
Der Käufer hat einen Anspruch auf die Richtigkeit von Größenangaben
Streitobjekt war eine Eigentumswohnung in dem Stuttgarter Stadtteil Bad Canstatt, die von dem Sohn des Eigentümers in einem Immobilien-Internetportal mit 98 m2 beschrieben wurde. Diese Angaben wurden noch vor Unterzeichnung des Kaufvertrags auf „ca. 89 m²“ berichtigt. Die tatsächliche Größe der Wohnung beträgt jedoch lediglich 78,20 m² (siehe Urteil Rdnr. 2).
Urteil und Urteilsbegründung
Das Landgericht, das zunächst als Vorinstanz mit dem Fall beschäftigt war, hatte dem Kläger einen Schadensersatzanspruch i.H.v. 18.009,89 € zugebilligt, aufgrund des entstandenen Schadens und notwendiger Gutachterkosten (Rdnr. 17). Das Urteil wurde damit begründet, dass auch den Sohn (der nicht der Verkäufer war) ein gegenseitiges Rücksichtnahmegebot aufgrund von Vertragsverhandlungen gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB treffe (insb. Aufklärungs- und Informationspflichten i.S.d. § 242 BGB → „Treu und Glauben“). Entsprechend verstoße hiergegen eine falsche Beschreibung wesentlicher Eigenschaften des Kaufobjektes (sog. culpa in Contrahendo), die einen Schadensersatz begründet (Rdnr. 19).
Dabei sei die Pflichtverletzung ursächlich für die Kaufentscheidung der Klagepartei (Kausalitätsbeziehung), da die Größe einer Wohnung zu den kaufentscheidenden Merkmalen zähle, wie auch der Kläger glaubhaft beweisen konnte (Rdnr. 20).
Einen Haftungsausschluss sahen die Richter nicht, auch wenn gegen den eigentlichen Eigentümer (Vater) keine Ansprüche wegen Mängeln der Kaufsache nach §§ 434 ff. BGB bestünden (Rdnr. 21). Begründet wurde dies damit, dass den Sohn als Vertreter oder Verhandlungsgehilfe (Handeln namens und im Auftrag des Vaters) ebenfalls eine vorvertragliche und anspruchsbegründende Pflicht zur Rücksichtnahme treffen würde (Rdnr. 22).
Das Schuldverhältnis zwischen Kläger (Erwerber) und Sohn wurde aufgrund des höheren Vertrauens geschaffen (Rdnr. 23), da der Sohn bis zum Notartermin als Eigentümer der Wohnung auftrat (Rdnr. 24 u. 25). Weiterhin traf der Sohn die Aussage, er hätte die Wohnung persönlich saniert, wodurch die Gegenseite darauf vertrauen konnte, dass der Sohn fundierte Kenntnisse von Zuschnitt und Größe der Wohnung haben sollte (Rdnr. 26). Insofern konnte der Erwerber erwarten und darauf vertrauen, dass die vom Sohn getroffenen Angaben richtig seien.
Bestimmung der Schadensersatzhöhe
Zwar wurde die Größenangabe im Kaufvertrag mit dem Ausdruck „circa“ versehen („ca. 89 m²“), was aber nicht generell einen haftungsbegründenden Tatbestand ausschließt. In derartigen Fällen ist grundsätzlich von einem gewissen zu tolerierenden Rahmen auszugehen, der aber nicht greift, sobald dieser überschritten ist. Bei Mietverträgen wird nach herrschender Meinung und Rechtsprechung ein Wert von zehn Prozent als hinnehmbar erachtet (siehe BGH-Urteil vom 10. März 2010; Az.: VIII ZR 144/09).
Bei einem Kaufvertrag sei allerdings ein strengerer Maßstab relevant. Dieser wurde vom Gericht mit 5 Prozent festgelegt. Im vorliegenden Fall beträgt die Abweichung etwa 12 % (89 m² – 78,2 m² = 10,8 m² → 10,8 m²/89 m²≈ 0,1213 ≙ 12 %) (Rdnr. 32 bis 34). Der Schadensersatz berechnet sich demzufolge aus der Abweichung, die sich ergibt, nachdem von der vertraglich vereinbarten Fläche fünf Prozent als Toleranz abgezogen werden. Im Ergebnis berechnet sich der Schadensersatz daher aus einer Unterschreitung von 6,35 m², die sich aus der Differenz der zu tolerierenden Fläche von 84,55 m² und der tatsächlichen Fläche von 78,2 m² ergibt (89 m²×0,95 = 84,55 m² → 84,55 m²- 78,20 m²= 6,35 m²). Dieser Flächenwert wurde vom Gericht mit dem Quadratmeterpreis von 2.752,81 € multipliziert, der sich aus dem Kaufpreis von 245.000 EUR für 89 m² bemisst (245.000 €/ 89 m² ≈ 2.752,81 €/ m²). Der Schadensersatz betrug daher 17.480,34 € (6,35 m²×2.752,81 €/m²) zzgl. der Klägerseite entstandenen Gutachterkosten von 529,55 €, was den rechnerischen Gesamtschadensersatz von 18.009,89 € ergibt (Rdnr. 35).
Urteil und Urteilsbegründung
Das Amtsgericht entschied zu Gunsten des Klägers. Im Wesentlichen sei dies dadurch begründet, dass der Ausdruck Wohnfläche nicht allgemein definiert sei und somit der Auslegung bedürfe (Rdnr. 89). Es stünde den Vertragsparteien nach dem Grundsatz der Privatautonomie frei, sämtliche denkbaren Berechnungsmaßstäbe zu vereinbaren. Auch dürften sie hierbei Flächen berücksichtigen, die nach der Wohnflächenverordnung (WoFIV) nicht berücksichtigungsfähig sind (Rdnr. 93). Dies gelte auch für die Vereinbarung über die Zuordnung von Räumen zu Wohnzwecken. Diese Räume (im vorliegenden Fall Hobbyraum und Dachstudio) sind somit der Wohnfläche zuzurechnen, auch wenn diese laut dem öffentlichen Baurecht nicht zur Wohnfläche zählen (Rdnr. 95).
Auch sei es ohne Expertise im Zuge der Inaugenscheinnahme möglich festzustellen, dass die Wohnfläche nur unter Zugrundelegung der Flächen von Erd- und Obergeschoss keiner Gesamtwohnfläche von 210 m² entsprächen („ins Auge springend“). Insofern war es für die beklagte Partei offensichtlich, dass sich die Flächenangabe nicht nur auf die Räume im Erd- und Obergeschoss beziehen konnten (Rdnr. 99).
Grundsätzlich sei es einem Mieter nicht zumutbar, dass er die Wohnfläche zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nachmesse, allerdings sei eine derart gravierende Abweichung augenfällig („…ins Auge springen muss“), wodurch eine konkludente Vereinbarung (aufgrund schlüssigen Handelns) zu unterstellen sei, wonach der Hobbyraum im Keller und das Dachstudio im Obergeschoss den Wohnräumen zuzurechnen sind (Rdnr. 104). Aus diesen Gründen hatten die Beklagten (Mieter) kein Recht zur Mietminderung (Rdnr. 107). Die Mietrückstände i.H.v. 6.610 € (Mietminderung i.H.v. 2.100,00 € und zwei rückständige Mieten i.H.v. 4.510 €) müssen von den Mietern bezahlt werden (Rdnr. 113 u. Rdnr. 116). Außerdem sie sind zur Räumung sowie Herausgabe der Mietsache verpflichtet (Rdnr. 118).